Seit der Finanzkrise und der US-Steueraffäre hat sich den beiden Schweizer Grossbanken gegenüber eine öffentliche Perspektive entwickelt, die stärker als jemals zuvor sozial-moralische Bewertungskriterien ins Feld führt. Diese sogenannte soziale Reputation unterliegt gesamtgesellschaftlichen Bewertungsmassstäben, die rechtlich und moralisch korrektes Verhalten deutlich höher gewichtet als rein betriebswirtschaftliche Kenngrössen.

Dieser fundamentale Perspektivwechsel stellt die Legitimität der beiden Grossbanken insgesamt zur Disposition. Dabei geht es um nichts weniger als die Frage, ob das aktuelle Profil beispielsweise einer Credit Suisse überhaupt noch geeignet ist, deren grundsätzliche Existenzberechtigung in der Schweiz langfristig zu gewährleisten. Diese «licence to operate» ist nämlich nur dann langfristig gesichert, wenn das Profil in Übereinstimmung mit nicht nur betriebswirtschaftlichen, sondern insbesondere auch volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zielen umgesetzt wird.

Daniel Künstle (Geschäftsführer commsLAB AG) im Gespräch mit Reto Lipp. In: SRF-Wirtschaftsmagazin Eco vom 14. Oktober 2019.

Die primäre Frage ist darum nicht, ob eine Absetzung von CEO Thiam sowie allenfalls VRP Rohner die Reputation der Credit Suisse wieder auf ein einigermassen erträgliches Niveau heben kann. Vielmehr muss sich die Bank fragen, ob – bei einem Festhalten am bisherigen Profil als globale Bank mit Schweizer Sitz – der Schweizer Standort weiterhin geeignet sei, um die mit einer globalen Ausrichtung verbundenen Anforderungen (wie etwa das Benchmarking mit den grossen US-Investmentbanken) erfolgreich umzusetzen oder ob nicht grundsätzlich eine fundamentale strategische Neuausrichtung von Nöten ist.

Der Blick auf den Aktienkurs der Credit Suisse, aber auch der UBS, macht deutlich, dass es in Sachen Geschäftsprofil der beiden Grossbanken schon seit längerer Zeit um deutlich mehr geht als um reine Kosmetik. In Zeiten anhaltender und politisch offensichtlich gewollter Tiefst- resp. Negativzinsen ist es höchste Zeit für eine Neuerfindung des unterliegenden Geschäftsmodells.

Dabei sollten, anders als in den letzten 20 Jahren, nicht mehr kurzfristige finanzielle Zielsetzungen das Handeln anleiten, sondern – analog zur erfolgreichen Versicherungswirtschaft – wieder verstärkt langfristige, mit der jeweiligen Volkswirtschaft kompatible Strategien gewählt werden.