Als Erbe der Finanz- und Wirtschaftskrise hat sich die volkswirtschaftliche Verantwortung als zentrales Narrativ bei der Beurteilung der Schweizer Wirtschaft etabliert. Eine Bedeutungssteigerung dieses Narrativs ist regelhaft als klassisches Krisenphänomen zu beobachten. Massnahmen zur Stärkung der volkswirtschaftlichen Verantwortung ausserhalb von Krisenzeiten sind somit als ein Investment in eine unsichere Zukunft – d.h. als eigentliche Krisenversicherung – zu betrachten.

Untenstehende Abbildung weist aus, welche Verantwortungsbereiche bei der Reputationskonstitution der Schweizer Wirtschaft in den Jahren 2005 bis 2018 prägend waren. Die Darstellung ist dabei wie folgt zu lesen: Je grösser die Fläche der vier Verantwortungskreise, umso stärker prägte das entsprechende Narrativ – positiv oder negativ – die öffentliche Wahrnehmung bzw. die Reputation der Schweizer Wirtschaft.

Dabei zeigte sich, dass das volkswirtschaftliche Narrativ in Folge der Rettungspläne für Finanzinstitute und der Ausweitung der ursprünglichen Hypotheken- bzw. Finanzkrise zur umfassenden Wirtschafts- und Schuldenkrise zwischen 2009 und 2014 zur bestimmenden Kraft in der Reputationskonstitution der Schweizer Wirtschaft wurde (vgl. gelbe Fläche in der Abbildung).

Die Abbildung zeigt die Bedeutung der vier Verantwortungskreise für die Wahrnehmung der Schweizer Wirtschaft insgesamt. Die Darstellung gibt Auskunft darüber, wie stark die einzelnen Narrative die Wahrnehmung der Schweizer Wirtschaft über die Zeit geprägt haben, unabhängig davon, ob deren Effekte positiver oder negativer Natur waren. Je grösser die Fläche eines Verantwortungskreises, umso stärker prägte das entsprechende Narrativ die öffentliche Wahrnehmung bzw. die Reputation der Schweizer Wirtschaft.

Bedeutungssteigerung des volkswirtschaftlichen Narrativs in Krisenzeiten

Vor dem Hintergrund der Krise entfaltete das volkswirtschaftliche Narrativ seine überragende Bedeutung dabei primär aufgrund einer besonders kritischen und anspruchsvollen öffentlichen Erwartungshaltung. Charakteristisch für diese Phase war demnach, dass sich jene Unternehmen, die kaum in Zusammenhang mit volkswirtschaftlich schädlichem Handeln in Verbindung gebracht wurden, reputationsseitig positiver entwickelten. Vermeintlich langweilige Unternehmen mit ausgeprägtem Fokus auf angestammte Kernkompetenzen und langfristige Geschäftsmodelle gewannen folgerichtig wieder an Attraktivität. Gleichzeitig ist die Phase zwischen 2009 und 2014 durch eine gesellschaftliche Aufarbeitung und weitreichende regulatorische Weichenstellungen geprägt.

Angesichts der Diskussion um die Frankenstärke und der letztlichen Aufhebung des Euro-Mindestkurses durch die Schweizerische Nationalbank am 15. Januar 2015 verlor das volkswirtschaftliche Narrativ zunächst wieder an prägender Kraft. Aufgrund von neuen Skandalen (v.a. Postauto und Raiffeisen) und der zunehmenden Verdüsterung der globalen wirtschaftlichen Perspektiven, ist seit Anfang 2018 allerdings wieder eine Bedeutungssteigerung zu beobachten.

Eine Bedeutungssteigerung der volkswirtschaftlichen Verantwortung kann somit regelhaft als Krisenphänomen interpretiert werden: So hat sich der Bedeutungsgewinn im Zuge der Finanzkrise mit der (vermeintlichen) Lösung der Krise zwar wieder verflüchtigt, nur um dann jüngst – im Rahmen neuer Krisenanzeichen und Skandale – wieder anzusteigen.

Volkswirtschaftlich-verantwortliches Handeln zur Krisenvorsorge

Massnahmen zur Stärkung der volkswirtschaftlichen Verantwortung zahlen sich für das einzelne Unternehmen in der Regel nicht hic et nunc in Form von überdurchschnittlich positiven öffentlichen Bewertungen aus. Und: Volkswirtschaftlich-verantwortliches Handeln wird in der Regel nur selten mit sofortigem wohlwollendem Applaus bedacht.

Vielmehr dient volkswirtschaftlichen-verantwortliches Handeln in erster Linie als Distinktionsmerkmal gegenüber besonders negativ exponierten Unternehmen. Dadurch entfaltet es seine Kraft erst in Situationen, die jedes Unternehmen eigentlich zu verhindern sucht: nämlich in Krisen bzw. bei schwierigen Entscheidungen mit gesellschaftlicher Tragweite. Ein Unternehmen, dem volkswirtschaftliche Verantwortung attestiert wird, hat weniger Probleme, gesellschaftlich schwierig zu vermittelnde Entscheidungen (wie einen Stellenabbau) zu kommunizieren. Im Gegensatz dazu wird ein in der Öffentlichkeit als volkswirtschaftlich-verantwortungslos taxiertes Handeln dazu führen, dass entsprechende Unternehmen und Branchen über längere Zeit gesellschaftlich negativ exponiert bleiben.

Massnahmen zur Stärkung der volkswirtschaftlichen Verantwortung mögen deshalb ausserhalb von Krisen als unnötig oder kostspielig erscheinen. Solche Aktivitäten entfalten ihre Wirkung aber eben primär nicht in Normalphasen, sondern vor allem in Krisenzeiten und sind somit als ein Investment in eine unsichere Zukunft zu verstehen. Sie haben deshalb die Funktion einer eigentlichen Krisenversicherung und sind unabdingbar bei der proaktiven Bewirtschaftung von Reputationsrisiken.

Mehr Infos:

Volkswirtschaftliche Verantwortung als Wertschöpfungsfaktor. Reputation und öffentliche Wahrnehmung der Schweizer Wirtschaft im Wandel.

Studie im Auftrag der Suva, Dezember 2018.