Der Rohstoffhandel ist einer der bedeutendsten Wirtschaftszweige der Schweiz. In Kontrast zu seiner wirtschaftlichen Bedeutung steht eine vergleichsweise randständige Beachtung des Sektors und seiner Firmen in der Schweizer Medienöffentlichkeit.
Angenähert über das Saldo des Transithandels der Schweizer Unternehmen – das laut Statistik der SNB zu rund 80 bis 90 Prozent auf das Konto des Rohstoffsektors geht – trägt der Rohstoffhandel aktuell ähnlich viel zum Schweizer Bruttoinlandprodukt bei wie die Banken und Versicherungen zusammen (Quelle: https://data.snb.ch). Und noch eine Zahl, um die Bedeutung der Rohstofffirmen für den hiesigen Wirtschaftsstandort zu untermauern: Die fünf umsatzstärksten Schweizer Firmen in den Jahren 2021 und 2022 stammten allesamt aus dem Rohstoffsektor – noch vor den drei SMI-Schwergewichten Nestlé, Roche und Novartis (Quelle: https://www.listenchampion.de/).
Ungleichgewicht zwischen ökonomischem und medialem Gewicht
In Kontrast zu dieser wirtschaftlichen Bedeutung steht eine vergleichsweise randständige Beachtung des Sektors und seiner Firmen in der Schweizer Medienöffentlichkeit. Zu diesem Befund kommt der aktuelle Swiss Economy Reputation Index – kurz SERX (Quelle: https://commslab.com/serx/). Der von commsLAB quartalsweise publizierte SERX erfasst im Rahmen einer systematischen Inhaltsanalyse der zentralen Schweizer Leitmedien die öffentliche Beachtung und Reputation von 220 Schweizer Unternehmen aus 23 Sektoren – aktuell darunter auch 15 Firmen aus dem Schweizer Rohstoffhandel. Die Publikation verdeutlicht nicht nur den im Vergleich mit anderen Wirtschaftssektoren geringen Thematisierungsanteil des Rohstoffhandels, sondern auch, dass entgegen seiner in den letzten Jahren steigenden wirtschaftlichen Bedeutung für die Schweiz der öffentliche Beachtungsgrad in hiesigen Medien relativ betrachtet gar gesunken ist (vgl. Grafik 1).
Grafik 1: Öffentliche Beachtung des Rohstoffsektors und Bedeutung des Transithandels
Lesehilfe: Die gelben Säulen zeigen den Thematisierungsanteil des Schweizer Rohstoffhandels in % am Total aller im Swiss Economy Reputation Index (SERX) untersuchten Unternehmen (Quelle: commsLAB). Die blaue Kurve zeigt das Saldo des Schweizer Transithandels in % zum Schweizer BIP (Quelle: SNB, BFS).
Dieser Befund eines in der Öffentlichkeit deutlich unterrepräsentierten Rohstoffsektors brachte im letzten Jahr auch eine vom fög – Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft / Universität Zürich gemeinsam mit commsLAB publizierte Studie zum Ausdruck, welche für rund 90 Schweizer Firmen die Umsatzstärke mit dem medialen Beachtungsgrad in Beziehung setzte (Quelle: https://www.foeg.uzh.ch/de/news/2023/Studie-Unternehmensberichterstattung.html).
Rohstoffhandel: Unterrepräsentiert trotz vorhandenem Nachrichtenwert
Nun, wirtschaftliches Gewicht allein garantiert noch keine äquivalente mediale Aufmerksamkeit. Die ausgeprägte mediale Unterrepräsentation des Rohstoffsektors ist aber auch insofern erstaunlich, als dieser in eine prinzipiell nachrichtenwerthaltige, häufig durch Negativität geprägte Themenlage eingebettet ist. Der Blick auf die Reputation des Rohstoffsektors zeigt, dass diese in den letzten Jahren stets im negativen Bereich und meist unterhalb des Werts für die Gesamtwirtschaft lag (vgl. Grafik 2).
Moralische Verfehlungen oder rechtliche Probleme – bspw. in Form von Korruptionsfällen oder Verstössen gegen Umwelt- und Steuerstandards – haben somit zwar ein negatives öffentliches Ansehen zur Folge. Trotz wirtschaftlicher Bedeutung und attraktiver Themenlage fehlt im öffentlichen Diskurs aber gleichzeitig eine resonanzstarke, kontinuierliche Begleitung der Aktivitäten der Rohstofffirmen, wie wir sie von den Schweizer Grossbanken oder auch den drei SMI-Schwergewichten kennen.
Grafik 2: Reputationsentwicklung des Rohstoffhandels
Lesehilfe: Die Abbildung zeigt die Reputationsentwicklung des Rohstoffsektors (gelb) im Vergleich zur Gesamtreputation der Schweizer Wirtschaft (hellblau). Basis ist das Unternehmens- und Mediensample des Swiss Economy Reputation Index (Quelle: commsLAB).
Chancen und Risiken des medialen Abseitsstehens
Die sprichwörtliche Ausnahme, welche die Regel bestätigt, stellt Glencore dar; ein Unternehmen, das wohl auch vielen Leuten ein Begriff sein dürfte. Im Vergleich der fünf umsatzstärksten Schweizer Rohstofffirmen entfielen in den letzten Jahren zwischen 50 und 80 Prozent der medialen Beachtung auf Glencore (vgl. Grafik 3). Die vier anderen Unternehmen waren dagegen in der Regel höchstens punktuell (Vitol, Trafigura) oder kaum (Mercuria, Gunvor) Gegenstand eines breiteren medialen Interesses. Es ist zu vermuten, dass die vier genannten Firmen deshalb auch in der breiten Schweizer Bevölkerung kaum geläufig sein bzw. nicht mit der Schweiz assoziiert werden dürften.
Grafik 3: Resonanzentwicklung Glencore, Gunvor, Mercuria, Trafigura, Vitol (Anteil in %).
Lesehilfe: Die Abbildung zeigt den prozentuellen Anteil der fünf dargestellten Rohstofffirmen in der Schweizer Berichterstattung (Quelle: commsLAB).
Für den Schweizer Rohstoffsektor und seine Firmen stellt sich nun die strategische Frage: Sind diese blinden Flecken in der Schweizer Medienöffentlichkeit eher als Vorteil oder Risiko einzuschätzen? Glencore scheint unter dem seit 2021 amtierenden CEO Gary Nagle und in Abkehr zur bisher äusserst zurückhaltenden öffentlichen Positionierung eine kommunikative Strategie von mehr Transparenz und Offenheit zu verfolgen und dabei bewusst auch mehr mediale Berichterstattung in Kauf zu nehmen. Die relativ zurückhaltende Öffentlichkeitsauftritt der meisten anderen Rohstofffirmen lässt jedoch vermuteten, dass im Sektor nach wie vor die Einschätzung überwiegt, wonach mit einer öffentlichen Exponierung vor allem Risiken verbunden seien. Eine, angesichts der – wie oben gezeigt – eher durch Negativität geprägten Themenlage, durchaus nachvollziehbare strategische Positionierung.
Das mediale Abseitsstehen birgt aber gleichwohl Risiken. Indem die öffentliche Debatte nämlich relativ kampflos Drittakteuren – zum Beispiel aus dem Journalismus, der Politik oder von NGO – überlassen wird, stehen kritische Perspektiven zum Rohstoffsektor häufig unwidersprochen im öffentlichen Raum. Das hat einerseits Folgen für die sich innenpolitisch verschärfende Regulierungsdebatte, tangiert andererseits aber auch die Debatte zu wettbewerbspolitischen Druckversuchen aus dem Ausland.