Ein neuer Indikator zur Reputation der Schweizer Wirtschaft und staatsnahen Organisationen zeigt für die letzten Jahre eine gesamthaft rückläufige Skandalisierung in der medienvermittelten Darstellung. Der per Ende September 2021 ausgewiesene Berichterstattungsanteil von 17.1% mit eindeutiger Skandalisierungstendenz befindet dabei auf dem tiefsten Wert seit Beginn der Finanzkrise im 2007. Zwischen den einzelnen Sektoren sind allerdings signifikante Unterschiede auszumachen, die von einem Anteil von über 30% (Rohstoff-Sektor) bis unter 2% (Forschungsanstalten) reichen. Details bis auf Unternehmensebene finden sich auf der neuen Homepage www.reputation.ch.

Starken Skandalisierungstendenzen ausgesetzt ist in den letzten 15 Jahren immer wieder der Finanzsektor (Abbildung 1). Getrieben durch Subprime- und Finanzkrise, den Fall des Bankgeheimnisses sowie weitere Finanzskandale und Affären des Top Managements waren es insbesondere die Globalen Banken, die in den Jahren 2008 bis 2014 zu einem Skandalisierungsgrad des Finanzsektors von bis zu 40% seiner gesamten öffentlichen Beachtung beitrugen.

Demgegenüber ist der Skandalisierungsgrad der Realwirtschaft nur geringen Schwankungen ausgesetzt und bewegt sich in der Regel um die 20%. Aktuell befindet er sich auf dem tiefsten Stand seit Messbeginn im 2004. Vergleichsweise stark skandalisiert werden regelhaft auch die staatsnahen Betriebe (Post, SBB, SRG, Suva, Swisscom) mit Peaks im 2009 (u.a. Probleme SBB) und 2018 (Postauto-Skandal). Aktuell greift aber auch hier ein deutlicher Skandalisierungsrückgang.

Swiss Economy Reputation Index 2Q201 Sektorranking

Abbildung 1: Der Skandalisierungsgrad zeigt, wie stark die öffentliche Wahrnehmung der Schweizer Wirtschaft resp. ihrer zentralen Bereiche, Sektoren und Unternehmen durch Skandale geprägt ist. Der ausgewiesene Prozentwert indiziert den Anteil der Berichterstattung mit eindeutiger Skandalisierungstendenz (Status per 30/09/2021).

Coronakrise führt zu einer Verlagerung der medialen Aufmerksamkeit

Seit dem letzten Skandalisierungs-Peak von 2018, u.a. mit Postauto-Skandal und Pierin-Vincenz-Affäre, hat sich der Skandalisierungsgrad nun aber stark zurückgebildet und erreicht aktuell den tiefsten Wert seit Beginn der Finanzkrise im 2007.

Massgebend verantwortlich für diese jüngst deutlich rückläufige Tendenz ist die Corona-Pandemie. Es kam zu grossen Gewichtungsverschiebungen in der medialen Aufmerksamkeit. Viele Themen wurden von der Pandemie schlicht in den Hintergrund gedrängt. Gleichzeitig griff nach dem Aufkommen der alles dominierenden Berichterstattung rund um den Coronavirus aber auch eine fundamental andere Bewertungsperspektive gegenüber der Schweizer Wirtschaft sowie staatsnahen Betrieben. Im Zentrum stand nun die Frage, wie genau die Unternehmen ihre Kompetenzen in den Dienst der Gesellschaft stellen und mit welchen Aktivitäten sie zur Unterstützung des Standorts Schweiz beitragen.

Entscheidend für den Grad medialer Skandalisierungen sind in der Regel projizierte moralische Verfehlungen sowie die Kritik am (ausbleibenden) gesellschaftlichen Nutzen insbesondere von Grossunternehmen resp. von stark in der Öffentlichkeit stehenden Organisationen. Diese Bewertung fiel für viele Sektoren – insbesondere zu Beginn der Pandemie – mehr positiv als negativ aus. Das übergeordnete Narrativ bildete dabei die volkswirtschaftliche Verantwortung: Die Unternehmen waren dazu angehalten, ihren volkswirt­schaftlichen Nutzen konkret unter Beweis zu stellen und einen aktiven gesellschaftlichen Beitrag zur Bewältigung der Krise zu leisten (Bsp. Notkredite der Banken, Impfstoffentwicklung der Pharmaindustrie).

Trotz Pandemie bleiben Skandalsierungen unverändert ein wirkungsvolles Mittel, insbesondere für ihrerseits um öffentliche Aufmerksamkeit buhlende politische und gesellschaftliche Akteure. So sorgen beispielsweise Klimastreiks, moralisch aufgeladene Abstimmungskampagnen wie die Konzern­verantwortungsinitiative, oder Enthüllungsaktionen wie zuletzt die Pandora-Papers regelmässig für entsprechende Negativschlagzeilen für die in diesem Kontext thematisierten Unternehmen und Organisationen.

 

Deutliche Unterschiede in der Skandalisierung der einzelnen Sektoren

Abbildung 2 zeigt den Skandalisierungsgrad von insgesamt 23 untersuchten Sektoren aus den Bereichen Finanzwirtschaft (drei Sektoren), Realwirtschaft (15 Sektoren) und staatsnahe Organisationen (fünf Sektoren) mit Stichtag 30. September 2021.

Dabei zeigt sich, dass gegenüber Ende 2020 nur die Sektoren Globale Banken (v.a. Credit-Suisse-Skandale), Telekom (Pannenserie der Swisscom), Audit (Wirecard-Debakel) und – allerdings nur wenig ausgeprägt – die Versicherer (Rechtstreitigkeiten um Pandemieversicherungen) erhöhten Skandalisierungstendenzen ausgesetzt waren.

Trotz substanziellem Skandalisierungsrückgang in den letzten neun Monaten bleibt der Rohstoff-Sektor mit einem Anteil von über 30% seiner medialen Beachtung die am stärksten skandalisierte Branche in der Schweiz. Gleichwohl ist der signifikante Rückgang von 13.2% Ausdruck einer deutlich veränderten öffentlichen Positionierung der Branche, insbesondere von deren Flaggschiff Glencore. Beginnend mit der ungewohnten Kommunikationsoffensive im Kontext der Konzernverantwortungs­initiative von November 2020 sorgten insbesondere die CEO- und VRP-Wechsel im 2021 («Bei Glencore weht ein frischer Wind» – Bilanz, 14/08/2021) sowie die ungewohnten Ansprachen zur Verstärkung des Klimaschutzes («Umweltfreundlich und profitabel: Was Gary Nagle mit Glencore vorhat» – Bilanz, 16/09/2021) für eine weniger skandalisierte öffentliche Wahrnehmung des Sektors.

Am anderen Ende der Skala stehen Forschungs- und Ausbildungseinrichten mit geringen und weiter rückläufigen Anteilen zwischen knapp zwei und etwas mehr als vier Prozent skandalisierendem Berichterstattungsanteil. Aktuell nur wenig Skandalisierungstendenzen ausgesetzt sind auch der Energie- und Maschinensektor sowie die Regulierungsbehörden.

Swiss Economy Reputation Index 2Q201 Sektorranking

Abbildung 2: Die Grafik zeigt den Skandalisierungsgrad in % der einzelnen Sektoren mit Stichtag 30. September 2021 (linke Seite) sowie dessen Veränderung in % gegenüber Ende 2020 (rechte Seite). Beispiel: Die Berichterstattung zu den globalen Banken weisst in 29.0% der Fälle einen deutlichen Skandalisierungscharakter auf. Dieser Wert hat sich in diesem Jahr leicht erhöht (+2.3%). Zusätzlich zu Abbildung 1 sind hier noch die Sektoren Fachhochschulen, Forschung, Regulierungsbehörden und Universitäten integriert.

reputation.ch

Die von commsLAB AG betriebene Website www.reputation.ch bietet seit Oktober 2021 die Möglichkeit, Reputationskennziffern wie den Skandalisierungs- und Fremdbestimmungsgrad sowie Regulierungsdruck und Reputationspuffer bis auf Ebene einzelner Unternehmen abzufragen. Die Plattform basiert dabei auf dem seit 2004 von commsLAB gemeinsam mit seinem strategischen Partner, dem fög – Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich, betriebenen systematischen und kontinuierlichen Monitoring zur Reputation zentraler Schweizer Organisationen, Institutionen und Personen. Die Daten dieses Grundlagen-Monitorings entsprechen wissenschaftlichen Qualitätsansprüchen. Aktuell umfasst unser Reputationsmonitoring über 500 Akteure aus Wirtschaft, Gesellschaft und Politik. Dieses wird laufend um weitere Reputationsobjekte ergänzt.