Zürich (awp) – Die Schweizer Wirtschaft leidet in Zeiten der Corona-Pandemie unter drastischen Massnahmen. Gleichzeitig führt die Krise aber auch hierzulande zu mehr Zusammenhalt und Solidarität. Davon könnte die Wirtschaft auch längerfristig profitieren, sagt Daniel Künstle, Geschäftsführer der Beratungsfirma Commslab, im Interview mit AWP.
Interview: Simon Stahl, AWP – erschienen am: 16. April 2020
AWP: Die Reputation der Schweizer Wirtschaft ist laut ihren Analysen erstmals seit langem wieder stark gestiegen. Und dies trotz oder gerade wegen der Corona-Krise?
Daniel Künstle: Dem ist tatsächlich so. Trotz sinkender Börsenkurse und drohender wirtschaftlicher Verwerfungen infolge des Corona-Lockdowns hat sich die Reputation der Schweizer Wirtschaft insgesamt verbessert. Dies, weil seit dem Aufkommen der alles dominierenden Berichterstattung rund um den Coronavirus eine fundamental andere Bewertungsperspektive greift.
AWP: Was genau ist damit gemeint?
DK: Im Vordergrund steht aktuell zu allererst die Frage, ob die Unternehmen ihre volkswirtschaftliche Verantwortung wahrnehmen, wie genau sie ihre Kompetenzen in den Dienst der Gesellschaft stellen und mit welchen Aktivitäten sie zur Unterstützung des Standorts Schweiz beitragen. Es geht momentan also vor allem um die Bewertung des gesellschaftlichen Nutzens, den insbesondere Grossunternehmen in dieser Krise für die Schweiz entfalten. Und diese Bewertung fällt gesamthaft bisher mehr positiv als negativ aus.
Die Grafik zeigt, welche Auswirkungen die Berichterstattung zur Coronakrise auf die Reputation der einzelnen Schweizer Wirtschaftssektor hat (linke Grafik) und vergleicht diesen Wert mit dem entsprechenden Wert der Gesamtreputation des Sektors (rechte Grafik). Lesehilfe: Der Sektor ‘Nationale Banken’ erzielt im Kontext der Berichterstattung zur Coronakrise den höchsten Reputationsimpact (+3.8 – linke Grafik). Gegenüber dem Gesamtimpact (siehe vorhergehende Seite) fällt dieser deutlich besser aus (+3.0 – rechte Grafik), d.h. der Sektor profitiert bis jetzt reputationsmässig von der Coronakrise.
AWP: Sie haben den fundamentalen Perspektivenwechsel angesprochen. Eine eher kurzfristige Sache oder könnte die Corona-Krise unsere Meinung über die Schweizer Wirtschaft auch längerfristig ändern?
DK: Fundamentale Krisen verändern eine Gesellschaft immer bzw. hinterlassen ein ‚Abbauprodukt‘ in Form veränderter gesellschaftlicher Erwartungsstrukturen – und die Corona-Pandemie ist eine solch fundamentale Krise. Entsprechend ist schon davon auszugehen, dass die Erwartung an ein volkswirtschaftlich-verantwortliches Handeln eine Hinterlassenschaft darstellt, die nicht so rasch wieder verschwindet.
AWP: Wo liegen dabei die Gemeinsamkeiten oder Unterschiede zur Finanzkrise?
DK: Der Einsatz und Nutzen für den eigenen Wirtschaftsstandort war bereits nach der Finanzkrise von 2008 ein zentraler Reputationstreiber. Er hat damals vor allem jenen Unternehmen geholfen, die sich – anders als die in der öffentlichen Meinung schuldigen globalen Finanzakteure – durch eher langfristige Geschäftsmodelle auszeichneten und damit den Standort Schweiz in der Krise volkswirtschaftlich gestärkt haben. Dieses Narrativ tendiert also vor allem in Krisensituationen dazu, an Bedeutung zu gewinnen.
AWP: In der letzten grossen Wirtschaftskrise wurde vor allem das Finanzsystem an den öffentlichen Pranger gestellt. Nun scheinen die Banken als Problemlöser zu gelten.
DK: Anders als bei der Finanzkrise von 2008 stehen diesmal nicht wirtschaftliche Verwerfungen – wie das Platzen der Immobilienblase in den USA – am Ursprung der Krise, sondern eine sich aufgrund des Coronavirus manifestierende weltweite Gesundheitskrise und erst nachgelagert die sich daraus ergebende Angst vor den wirtschaftlichen Folgen.
AWP: Mit anderen Worten: Es ist diesmal ein gesamtgesellschaftliches Problem.
DK: Genau. Die Schuld an der aktuellen Krise kann aus öffentlicher Perspektive nicht einzelnen Wirtschaftssektoren oder gar Unternehmen angelastet werden, sondern wird als gesamtgesellschaftliches Problem verstanden. Banken können aufgrund ihrer zentralen Rolle bei der Abwicklung der milliardenschweren Corona-Notkredite nun vor aller Augen unter Beweis stellen, dass auch sie sich – im Sinne des grossen Ganzen – in den Dienst des notleidenden Standorts stellen.
AWP: Glauben sie, dass sich die öffentliche Wahrnehmung der Banken dadurch nachhaltig positiv verändern wird?
DK: Viele nationale Banken verfügen bereits seit Jahren wieder über eine intakte Reputation, dies nachdem im Zuge vor allem des US-Steuerstreits auch ihr Ansehen gelitten hatte. Diese positive Entwicklung ist nicht zuletzt das Resultat davon, dass sich diese Banken an ihren regionalen und lokalen Standorten offensichtlich volkswirtschaftlich bewährt haben.
AWP: Ein Effekt von dem auch die Grossbanken profitieren?
DK: Bei den Grossbanken ist dieser Tatbeweis aufgrund ihrer globalen Ausrichtung deutlich weniger augenfällig, weshalb sich ihre insgesamt weiterhin stark negative Reputation auch nur langsam verbessert. Eine professionelle Abwicklung der Notkredite zum Nutzen des Standorts Schweiz ist aber sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung.
AWP: Die UBS und die Credit Suisse haben auf Druck der Finma nun ihre Dividendenausschüttung aufgeteilt. Ein geschickter Schachzug oder reine Reputationskosmetik?
DK: Aufgrund der seit der Finanzkrise anhaltend tiefen und in den letzten Jahren weiter fallenden Börsenbewertung der beiden Grossbanken kommt der Ausschüttung von Dividenden aus Sicht der Anleger hier grundsätzlich eine besondere Bedeutung zu. Um das positive Bild als wichtiger Helfer in der Coronakrise nicht wieder zu gefährden, ist der nun vollzogene Schritt aber sicherlich ein guter Kompromiss, um alle Stakeholder einigermassen bei Laune zu halten.
AWP: In den Medien wird oft diskutiert, inwiefern uns die aktuelle Krise einen womöglich nötigen Wandel des Wirtschaftens vor Augen führt. Wo sehen Sie die Lehren, welche aus dieser Krise gezogen werden könnten?
DK: Positiv zu werten ist sicherlich, dass sich zum Wohle und Schutz des eigenen Umfelds sehr rasch und in einer Weise Massnahmen umsetzen lassen, wie dies in normalen Zeiten niemals funktionieren würde. Dies betrifft auch die Art und Weise, wie sonst als Konkurrenten agierende Unternehmen nun plötzlich zusammenspannen, sei es in gemeinsamen Forschungsprogrammen von Pharmaunternehmen zur Entwicklung eines Impfstoffes, sei es bei der gemeinsamen Konzipierung zur Abwicklung der Corona-Notkredite seitens der Banken.
AWP: Es werden Stimmen lauter, die den Medien zu hohe Staatsgläubigkeit und Verlautbarungsjournalismus attestieren. Wie sehen Sie die Rolle der Medien in der Krise?
DK: Gesellschaftliche Krisen sind per se durch ein Näherrücken und erhöhte Loyalität geprägt. Die Informationsfunktion der Medien gewinnt gegenüber der Kontrollfunktion an Bedeutung. Für einen kurzen Moment ist auch der politische Konflikt ausgesetzt, die politischen Parteien waren sich über die letzten Wochen einig wie sonst nie. Ob die Medien in dieser Situation einen guten Job machen oder nicht, wird sinnvollerweise erst mit etwas Abstand zur Krise beurteilt werden können.
Das Beratungsunternehmen Commslab berechnet in Zusammenarbeit mit der Universität Zürich den Swiss Economy Reputation Index (SERX). Dieser Indikator spiegelt das Vertrauen in die Wirtschaft in Form der medial vermittelten Reputation. Der Index umfasst über 150 Unternehmen der Privatwirtschaft sowie staatsnahe Betriebe.
sta/