Die neusten Zahlen einer Studie zur Lohnsituation bei Schweizer Ärztinnen und Ärzten haben zu einer intensiven Debatte in Politik und Medien geführt. Der allgemeine Tenor lautet: Die Ärzte verdienen zu viel. Womit nicht zuletzt ein neuer «Sündenbock» für die steigenden Kosten im Gesundheitswesen gefunden wurde. Es würde aber zu kurz greifen, diese Kritik an der Ärzteschaft lediglich als weitere Episode einer «empörten Öffentlichkeit» abzutun. Vielmehr sind die entfachten Kommunikations- und Reputations-dynamiken im Jahr 2018 Indiz für einen sich zuspitzenden Konflikt innerhalb des Schweizer Gesundheitswesens, das sich auf einen härter werdenden Verteilungskampf einstellen muss.

Die Publikation der BAG-Studie im Oktober 2018 zu den Honoraren von Ärzten in der Schweiz hat hohe Wellen geworfen. Der allgemeine Befund der Studie lautet: die Löhne sind höher als bisher angenommen. Auf Seiten der Ärzte hat man die Studie als «politisch-motivierte» Stimmungsmache scharf kritisiert; die Datenbasis sei unvollständig und veraltet.

Regelhaft gehen die Wogen hoch, wenn in den Medien über Löhne von Führungskräften gesprochen wird. Bei den Managergehältern handelt es sich denn auch um ein Thema, mit dem sich die allgegenwärtige öffentliche Empörungskultur besonders gut bewirtschaften lässt: seit nunmehr fast 20 Jahren sind entsprechende Skandalisierungsmechanismen in den Medien fest etabliert. Die Ärzte sind dabei mitnichten die erste Berufsgruppe, die diesen Mechanismus hautnah zu spüren bekommt. Vor ihnen richtete sich die öffentliche Empörung in erster Linie an die Adresse von exponierten Bank- oder Pharmamanagern. Mittlerweile müssen aber auch die Chefs von staatsnahen Betrieben wie SBB und Post oder von obligatorischen Prämien abhängigen Unternehmen wie den Krankenkassen damit leben, dass ihre Gehälter ebenfalls rasch zu hoch sind, um diesem oftmals von Selbstgerechtigkeit triefenden öffentlichen Pranger entgehen zu können.

Brisant ist nun aber der thematische Hintergrund vor dem die aktuelle Skandalisierung abläuft: Die Gesundheitspolitik hat ein Jahr vor den eidgenössischen Wahlen deutlich an öffentlicher Beachtung gewonnen. Sowohl in Politik wie Medien hat die Gesundheitspolitik aktuell Hochkonjunktur. So hat auf Ebene der nationalen Politik die Anzahl der neuen gesundheitspolitischen Vorstösse im Parlament in den letzten zwei Jahren stark zugenommen (vgl. blaue Säulen in Abbildung 1). Zudem haben Parteien wie die CVP («Für tiefere Prämien – Kostenbremse im Gesundheitswesen») und die SPS («10 Prozent des Haushaltseinkommens für Krankenkassenprämien sind genug») Initiativen am Laufen, von denen man sich erhofft, dass sie im Wahljahr 2019 zur Mobilisierung der Wählerschaft beitragen.

Parallel dazu hat – nach einigen Jahren relativer Ruhe – die Gesundheitsthematik auch in den Medien wieder an Fahrt gewonnen (vgl. orange Kurve in Abbildung 1). Dabei hat sich insbesondere der Fokus auf die Gesundheitskosten wieder intensiviert.

Abbildung 1: Entwicklung des politischen Drucks auf das Gesundheitswesen, gemessen an der Anzahl der politischen Vorstösse im Gesundheitsbereich sowie der Entwicklung der öffentlichen Diskurse über die Gesundheitspolitik.

In hierin rücken seit Anfang 2018 vermehrt Ärzte und Spitäler ins Zentrum des öffentlichen Diskurses, wie der systematische Überblick über die wichtigsten Gesundheits-Issues mit Kostenfokus in reichweitenstarken Schweizer Medien zeigt (vgl. Abbildung 2). Nicht nur die Diskussion über Ärztehonorare (Rang 3), sondern auch die Debatte über den Tarmed (Rang 6), über ambulante und stationäre Behandlungskosten (Rang 8) sind allesamt breit diskutierte Themen, die mit diesen Leistungserbringern in Verbindung gebracht werden.

Abbildung 2: Die wichtigsten Issues der Kostendebatte im Gesundheitswesen (und ihr Anteil an den Top-10 Issues) in zentralen und reichweitenstarken Newsmedien in der Schweiz im Jahr 2018. Die Themen sind nach ihrer quantitativen Bedeutung hierarchisiert.

Auch in der Bevölkerung, so zeigen diverse Umfragen, wird die Gesundheitspolitik wieder relevanter; die Sorgen um das Gesundheitswesen und der damit verbundenen Kosten sind generell gewachsen. So spricht sich etwa in der neusten Ausgabe des Spital- und Klinikbarometer des Gfs eine grosse Mehrheit der Befragten für eine politische Steuerung der Kosten aus. Im Gfs-Sorgenbarometer von 2017 gehört das Gesundheitswesen für einen grossen Teil der Schweizer Bevölkerung wieder zu den wichtigsten Problemfeldern in der Schweiz.

Die anziehende Kostendebatte führt nun dazu, dass sich die Suche nach den ‘Schuldigen’ für die anhaltende Kostensteigerung intensiviert. Standen in den letzten Jahren vor allem die Pharma­industrie mit ihren Medikamentenpreisen und die Krankenkassen mit ihren Prämienerhöhungen am Pranger, wird nun verstärkt auf die Ärzteschaft gezielt. Zwar werden die Medikamentenpreise noch immer relativ intensiv als Kostentreiber diskutiert, die jährlichen Kostensenkungsrunden bei Medikamenten haben mittlerweile aber zu einer gewissen Versachlichung der Debatte geführt.

Anders bei den Ärzten und Spitälern. Hier öffnen sich gegenwärtig verschiedene Fronten, die mehrheitlich negativ auf die Reputation dieser Leistungsgruppe einzahlen. Während es sich bei der EFAS-Debatte und der Auseinandersetzung um den Ärztetarif um konfliktive Sachfragen handelt, zielt die aktuelle Lohn-Debatte direkt und gezielt auf die Ärzte als wichtigen Faktor des «Kostenproblems».

Unabhängig davon, ob die Kritik an den Ärzten gerecht fertig ist oder nicht, verdeutlicht die Thematik, dass eine glaubwürdige, dem eigenen Profil entsprechende öffentliche Positionierung der betroffenen Gesundheitsakteure angesichts des sich intensivierenden Verteilungskampfs immer wichtiger wird.

Die Ärzte könnten dabei von den Erfahrungen früherer «Prügelknaben» lernen: So ist es für eine wirksame öffentliche Positionierung zunächst unabdingbar, überhaupt über eine gewisse öffentliche Deutungsmacht zu verfügen. Selbst etablierte Organisationen und Unternehmen verfügen nicht einfach per se über Legitimität und öffentliche Akzeptanz, sondern müssen ihren spezifischen Nutzen für die Gesellschaft immer wieder von Neuem unter Beweis stellen.

Nicht zuletzt muss deshalb eine öffentliche Wahrnehmung angestrebt werden, innerhalb welcher die eigene gesellschaftliche und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit regelmässig aufgezeigt werden kann. So profitiert die Pharmabranche in den letzten Jahren auch darum von einem gewissen öffentlichen «Tauwetter», weil sie es verstanden hat, ihre Bedeutung für die Schweizer Volkswirtschaft immer wieder zu kommunizieren und damit regelmässig an jenen gesellschaftlichen Nutzen zu erinnern, den sie insbesondere für diejenigen Standorte ausübt, an denen sie zentral tätig ist.